Die 3. Kugel – 6. Sein und Schwein

Hier nun ein weiterer Teil der Kriminalnovelle „Die 3. Kugel“ von Bodo Dringenberg. Wenn Du die vorherigen „Aufnahmen“ verpasst haben solltest, dann lies diese doch zuerst.

Kugelkultur

Viel Vergnügen …

Die 3. Kugel
eine Kriminalnovelle in dreizehn Aufnahmen von

Bodo Dringenberg

6. Sein und Schwein

„Er hat allein Schießen geübt“, meinte mehr verdattert als sachlich Neele. – „Und dabei ist er abgeknallt worden, oder?“ – „Gerade eben, ich faß es nicht. Wir spielen hier ein tête à tête, und Olaf wird von hinten erschossen.“ Ein welkes, feuchtbraunes Lindenblatt taumelte heran, senkte sich für einen Augenblick auf das Loch in der Jacke, flog aber gleich mit der nächsten Bö wieder hoch. „Ich renn zur Kneipe und ruf´ die Bullen, bleib mal hier. So ein verdammter Mist.“
Während Neele mit schwingendem Haar wegrannte, sah Fritz auf den so ganz ungewohnt ruhigen Olaf hinab. Fritz erfaßte das Geschehene immer noch nicht richtig – warum, was soll das?
Etwa sieben Meter hinter Olafs Turnschuhen schimmerten wie bei einer Perlenkette aufgereiht vier billige, silbrige Kugeln. Das waren seine Zielkugeln für das nur scheinbar ewige Schußtraining. Er betrachtete die beiden dunkelglänzenden Kugeln direkt vor Olaf und stutzte. Da stimmte doch was nicht, wo war die dritte Schußkugel? Obwohl immer noch mit dem Begreifen des Mords an Olaf beschäftigt, lief Fritz wie aufgezogen um Olaf herum, spähte ins Gras, schaute sich im Gelände um, das sich hinter den vier als Übungsziele aufgereihten Kugeln befand. Nichts. Aber keiner übt mit zwei Kugeln Schießen, Olaf schon gar nicht!
Für den leidenschaftlichen Boule-Spieler Fritz war das ein Rätsel. Mit nur zwei Kugeln – da stimmt was nicht. Fritz beschäftigte plötzlich nicht mehr der Mord selbst, sondern die offensichtliche Tatsache, das da jemand – wie soll man sagen – in Olafs Trainingsprogramm eingegriffen hatte.
Ach was, Unsinn, Fritz schüttelte den Kopf, es ist doch ganz einfach. Ohne Scheu und erkennungsdienstliche Bedenken bückte er sich und hob an der linken Seite den schweren Körper Olafs an. Unter dessen Brust schwappte leise eine Pfütze, und aus einer ausgefransten Öffnung der Fleece-Jacke fielen dicke Tropfen. Hastig ließ Fritz Olafs Leib wieder zu Boden gleiten. Obgleich er plötzlich sehr blaß geworden war, stemmte er ihn fast sofort wieder hoch. Unter Olaf war nichts Verborgenes auszumachen, schon gar keine Boule-Kugel, nur viel Blut. Armes Schwein, dachte Fritz, aber wo zum Teufel ist deine dritte Kugel?
Am nächsten Tag trafen sich unwahrscheinlicherweise doch wieder einige Bouler im Park. Themen waren das plötzliche Verscheiden Olafs, einige polizeiliche Vernehmungen und daß der Schuß von der Mauer gekommen sein muß.
„Wer war das Schwein, wer knallt einem Spieler eine Kugel in den Rücken? Wer macht bloß sowas?“ fragte Neele, die sich frei genommen hatte, und strich ihre blonde Mähne aus dem Gesicht. – „Wo ist Olafs dritte Kugel geblieben?“ – „Aber was machen wir nun damit, mit dem Tod Olafs?“ – „Und wenn der Mörder noch hier ist?“
Dirk, der ein Philosophiestudium absolviert hatte und manchmal rücksichtslos davon Gebrauch machte, entgegnete den Fragenden: „Wir spielen weiter.“ Er kramte ein tiefschwarzes Schwein hervor. Er legte es in die flache Hand, warf es aber nicht aus. Unbewegten Gesichts hob er es vor seine Augen und hub folgendermaßen an:
„Ein Schwein ist da. Sein bloßes Da-Sein aber macht noch nicht das Schwein aus. Denn es ist noch aus. Es ist zwar da, aber es ist als ein noch nicht im Spiel Seiendes, kein wirklich wahres, nicht wahr? Seine mögliche Geworfenheit ist da nichtig. Erst in der erneuten Nichtung ist sein Zur-Hand-Sein durch die Tat seines Vor-Geworfen-Werdens evident und allen Da-Seienden durch seine Geworfenheit ein Tatsächliches, Vor-Handenes, und hat nun in der Spiel-Zeit seinen Seins-Grund, wo es wahres Schwein wird und endlich ist.“
Franz war eher nervöser als gedrückter Stimmung: „Na komm, ist gut mit deinem Existenzialismus-Schmarren. Laßt uns mal loslegen: Münze oder Schwein?“ Er empfing verwunderte Blicke. „Ach so, wir müssen ja erstmal auslosen.“
Dirk warf das hölzerne Ziel aus, und zur Erleichterung fast aller hielten er und Franz nun den Mund. Das Spiel konnte sich erneut entwickeln.

FORTSETZUNG FOLGT

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